Migrationswende

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will „aus der Migrationswelle eine M. machen“. Die Migrationswelle hatten wir schon mal, sie trat auf als →Flüchtlingswelle, Flüchtlingsstrom oder gar Tsunami. Diese hyperbolischen Ausdrücke sollen Angst machen. Nun aber kommt die angebliche Erfolgsmeldung, denn die „Migrationswende wirkt“ – so sagt es jedenfalls Alexander Dobrindt. Aber was ist das überhaupt – eine M.? Wenden sich Migranten um, und migrieren in eine andere Richtung? Oder kommt es nun verstärkt zu Auswanderungen von Deutschen? Gemeint ist wohl beides nicht. Dobrindt und die Seinen feiern sich für einen Rückgang der Asylanträge. Sie feiern sich also dafür, dass sie mehr Menschen an den Grenzen aufhalten, abweisen und zurückschicken. In diesem Zusammenhang von „Humanität“ zu sprechen, ist eine vollkommen unpassende Qualifizierung dieser unmenschlichen Politik. Wenn die Zahl der Asylanträge sinkt, weil Menschen an der Grenze abgewiesen werden, ist das nicht human. Allerdings liegt hier wohl nicht die Hauptursache dieser Entwicklung. Die Zahl der Asylanträge geht zurück, weil es weniger Migration nach Europa gibt. Das aber ist kein Verdienst der Politik der derzeitigen Bundesregierung. Die M. ist also bestenfalls eine Hyperbel, eine Übertreibung. Oder einfach Unsinn.

Angstraum

Begriff aus Stadtplanung und Soziologie. Bezeichnet einen Ort, an dem Menschen allein aufgrund seiner Bauweise Angst haben und nicht, weil dort eine reale Bedrohung besteht. Gemeint sind beispielsweise Unterführungen. Soweit, so (sprachlich) unproblematisch. Selbstverständlich ist es schlecht, wenn Menschen Angst haben. Die Stadtplanung macht daher viele Vorschläge, wie solche Angsträume freundlicher gestaltet werden können. Licht hilft, aber auch ein lebendiger Kiez, der nach den Bedürfnissen der dort lebenden Menschen geplant ist und nicht nach dem Wunsch, maximalen Profit zu erzielen, beziehungsweise minimale Baukosten zu verursachen. Das hessische Innenministerium jedoch hat da eine andere Idee. Das neue hessische Polizeigesetz erlaubt der Polizei in Paragraf 14, all jene Ort „mittels Bildübertragung” zu beobachten und aufzuzeichnen, die „aufgrund ihrer konkreten Lage, Einsehbarkeit und Frequentierung günstige Tatgelegenheiten für Straftaten mit erheblicher Bedeutung (…) bieten und deshalb anzunehmen ist, dass sie gemieden werden“. Der A. also bleibt bestehen. Hinzu kommt lediglich ein wenig Videoschutz, wie es das hessische Innenministerium nennt. Dass Videoüberwachung zwar bei der Aufklärung von Taten helfen kann, sie aber nicht verhindert, also vor nichts schützt, dürfte für die, die dort Angst haben, ein schwacher Trost sein. Und erhöhen Überwachungseinrichtungen nicht sogar noch das Unsicherheitsgefühl? Gleichzeitig sind der Paragraf und der A. ein Freibrief, so ziemlich jeden öffentlichen Raum zu überwachen. Oder, um die großartige Band Foyers des Arts zu zitieren: „Handtaschenräuber, Handtaschenräuber / Überall, überall Handtaschenräuber / Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz“

Sicherheitsvorfall

Technisch klingen wollender Begriff für ein Ereignis, bei dem die sogenannte Informationssicherheit beeinträchtig wird oder ganz abhanden kommt, bei dem also ein Schaden eintritt. Somit ein Schadensfall. Daher handelt es sich bei dem S. um eine Antiphrase, also eine rhetorische Figur, die das Gegenteil dessen ausdrückt, was gemeint ist. Merke: Wer sich bei einem S. noch sicher fühlt, hat das Problem nicht verstanden.

Siehe auch → Sicherheitszone.

Booster

Ein B. (von Englisch to boost ‚anschieben’) war ursprünglich eine kleine Dampfmaschine, die zusätzlich zur Lokomotive in einen Zug eingesetzt wurde, um diesem beim Anfahren zusätzlichen Schub zu geben. Von dort fand das Wort Eingang in die Raketentechnik, denn um der Rakete nach dem Start genug Antrieb zu geben, wurde ein B. benötigt, der später abgeworfen werden konnte. Von dort wanderte das Wort dann in die Medizin: Um eine Immunreaktion auf einen Impfstoff auszulösen, wurde diesem ein B. beigemischt. Bei dieser breiten Verwendung dieses Wortes überrascht es kaum, dass es auch in die Sprache der Politik eingesickert ist. Und dort gibt es neuerdings gleich mehrere B., weil sie sich mit so ziemlich jedem Substantiv zu etwas toll klingendem verbinden lassen: Arbeitsministerin Bärbel Bas will einen Renten-B. auf den Weg bringen, der auch die →Frühstartrente umfasst. Der Finanzminister will einen Investitions-B., der zugleich ein Wachstums-B. und ein Milliarden-B. ist. Bei der inflationären Verwendung des Wortes, stellt sich die Frage, ob alle diese B. überhaupt die nötige Wirkung zeigen; noch ungewisser ist, ob sie wie in der Raketentechnik nach erfolgreichem Start wieder abgeworfen werden können. Die →Wachstumslokomotive, die wir in Neusprechfunk 21 erwähnt haben, fährt jedenfalls ohne ihren B. gar nicht.

Siehe auch →Paket.

Dialogpost

Von der Deutschen Post genutztes Unsinnswort. Ein Dialog ist ein Gespräch, ist Rede und Gegenrede und damit gegenseitiger Austausch. Die D. hingegen bezeichnet Werbebriefe, die die hilflosen Empfänger nicht bestellt und sicher auch nicht gewünscht haben. Antworten können sie darauf auch nicht, sie sollen vielmehr die in den Briefen beworbenen Dinge kaufen. Der Begriff ist daher ein Euphemismus für unverlangte Werbung, die eigentlich Monologpost heißen müsste. Nebenbei, der zuvor von dem Unternehmen genutzte Ausdruck Infopost ist auch nicht viel besser, denn auch er will über den Inhalt täuschen.

Vielen Dank an E. aus S. für den Tipp und an Katalin N. für die Monologpost.